Rezension: Stefan Kühl, Das Regenmacher-Phänomen

Eine Rezension zu “Das Regenmacher-Phänomen: Widersprüche im Konzept der lernenden Organisation” von Stefan Kühl (2015, 2. Auflage). Campus Verlag, Frankfurt. 226 Seiten

Cover Das Regenmacher-Phänomen

Bei inoio versuchen wir ohne formale Macht auszukommen, auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten, Bürokratie zu reduzieren, uns als Menschen (statt als Maschinen) zu begegnen, das System sich selbst organisieren zu lassen, uns gegenseitig zu vertrauen und über Feedback kontinuierlich zu lernen. Wir betrachten Veränderungen gerne als Experimente, über die wir lernen, was gut funktioniert und was weniger gut funktioniert - als Prozess kontinuierlicher Veränderung. Viel davon haben wir ursprünglich aus unseren Wurzeln der agilen Software-Entwicklung ableiten können. Und dann gibt es eine Menge Literatur zu Organisationsdesign, neuen Arbeitswelten (“New Work”) und Strukturen/Prozessen/Herangehensweisen, die man nutzen sollte, um noch “besser” zu werden. Viel solcher Literatur nutze ich gerne als Inspiration, und bin gleichzeitig etwas “auf der Hut”, weil oft etwas verkauft werden soll. Und wenn es nur das Buch ist, das auf der aktuellen Welle mitschwimmt, zur Frage, wie wir heute zusammenarbeiten sollten.

Vor diesem Hintergrund bin ich sehr glücklich, mit Das Regenmacher-Phänomen: Widersprüche im Konzept der lernenden Organisation von Stefan Kühl auf eine kritische und eher wissenschaftliche Betrachtung des Konzeptes der “lernenden Organisation” gestossen zu sein, die nicht nur die guten Seiten der Idee erzählt, sondern auch die Schattenseiten darlegt und auf vielleicht nicht so offensichtliche Aspekte hinweist.

Ein Wort zum Autor: Stefan Kühl ist Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Organisationsforschung an der Universität Bielefeld. Er arbeitet als Organisationsberater der Firma Metaplan in Quickborn für Ministerien, Unternehmen, Verwaltungen, Krankenhäuser und Universitäten.

Im Vorwort liefert Stefan Kühl die Motivation für sein Buchprojekt: die Diskrepanz zwischen offiziellen Projekt- und Prozessbeschreibungen und der alltäglichen, von den Beteiligten wahrgenommenen Realität, auf die er zuerst bei einer Analyse von Entwicklungshilfeprojekten gestoßen sei. Später habe er ähnliche Erfahrungen in verschiedenen Veränderungsprojekten in unterschiedlichen Umfeldern gemacht, bei denen er ebenfalls eine Diskrepanz zwischen den propagierten Leitbildern für “guten” Organisationswandel - Konzepte wie “lernende Organisation” oder “wissensbasierte Firma” - und den Wahrnehmungen der Beteiligten beobachtet habe. Die Erklärungen der Managementliteratur zu den propagierten Konzepten würden die in der Realität auftretenden Probleme, Widersprüche und Konflikte lediglich auf Umsetzungsprobleme zurückführen, und entweder schlicht ratlos zurücklassen, oder mit neuen und attraktiv klingenden Rezepten Lösung versprechen.

Der Autor grenzt sich von solcher Art Literatur ab, und möchte statt dessen mit seinem Buch die vermeintlich rationalen Vorstellungen von Organisationswandel selbst verantwortlich machen für die in der Realität auftretenden Probleme. Er beruft sich dabei auf die systemtheoretische Organisationsforschung, in der die Widersprüchlichkeiten, Paradoxien und Dilemmata in Organisationen nicht mehr als pathologische Zustände diskriminiert werden, sondern als Kernbestandteil von Veränderungsprozessen verstanden werden.

Die rational klingenden Leitbilder brauche es laut Kühl aber dennoch, in einer ähnlichen Funktion wie die Regenmacher: naturwissenschaftlich bestehe Einigkeit, dass die in Teilen Afrikas verbreiteten Regenmacher in der Regel keinen Regen produzieren, ihr Nutzen bestünde aber darin, für Zusammenhalt in der Dorfgemeinschaft zu sorgen (darauf wiederum hätten Ethnologen und Soziologen hingewiesen). Der “Regenmacher-Effekt” beschreibt die Einsicht, dass viele gesellschaftliche Institutionen zwar nicht das erreichen, was sie versprechen, dafür aber andere nützliche, nicht sofort sichtbare Funktionen haben.

Die zentrale These dieses Buches lautet, dass bei aktuellen Managementkonzepten wie z.B. der lernenden Organisation oder dem agilen System ein solcher Regenmacher-Effekt beobachtet werden könne.

Der versteckte Nutzen solcher Leitbilder bestehe im Wesentlichen darin, den Mitarbeitenden in einer Situation hoher Verunsicherung Orientierung zu geben.

Zur Einordnung benennt Kühl drei Seiten von Organisationen, die man in der Auseinandersetzung mit Konzepten wie der lernenden Organisation unterscheiden müsse: die Schauseite oder Fassade der Organisation nach aussen; die formale Seite, also das offizielle Regelwerk; sowie die informale Seite, die er das “wilde Leben in der Organisation” nennt.

Aus seiner Sicht würden Konzepte wie lernende Organisation, wissensbasierte Firma etc. erstmal “nur” Veränderungen auf der Schauseite darstellen. Und da Organisationen sich mit den auf der Schauseite so überzeugend wirkenden Prinzipien im Organisationsalltag ungewollte Nebenfolgen einhandeln würden, funktionieren die wissensbasierten Firmen nie wirklich so, wie sie sich präsentieren.

Mit diesem Buch stellt sich Stefan Kühl bewusst der Herausforderung, die Probleme, die Organisationspraktiker in Veränderungsprojekten erleben, mit Einsichten der Organisationsforschung zu verknüpfen.

Im Folgenden fasse ich die einzelnen Kapitel zusammen. Um den Lesefluss zu erleichtern, verwende ich keinen Konjunktiv - alle Aussagen bleiben dennoch Aussagen des Autors, ich möchte sie mir also nicht zu eigen machen.

1. Die Grenzen der lernenden Organisation - Einleitung

Kühl stellt hier fest, dass in der entsprechenden Managementliteratur zur lernenden Organisation die Grundannahme, dass Organisationen, die lernen und effektiv ihr Wissen managen, besser funktionieren als Organisationen, die nicht lernen, nicht hinterfragt wird. Ebenso werden die Vorstellungen vom steuerbaren Wandel, die über das Leitbild der lernenden Organisation transportiert werden, nicht hinterfragt.

Als Gründe dafür führt der Autor an, dass zum einen eine Kritik an der lernenden Organisation - die verbunden wird mit humanistisch klingenden Organisationsvorstellungen wie Partizipation, Kommunikation, Mensch im Mittelpunkt und Selbstorganisation - sich erst einmal den Vorwurf des Antihumanismus einhandeln würde. Und zum zweiten, dass die Verfechter des Konzepts argumentieren, die Anwendung der lernenden Organisation würde noch mit Schwierigkeiten ringen, weil das Personal Zeit brauche, um sich von einer hierarchischen Organisation auf die Prinzipien einer sich permanent wandelnden Organisation umzustellen. Wenn sich also alle noch auf dem Weg zur lernenden Organisation befinden, lässt sich ein Scheitern in der Praxis nicht nachweisen.

2. Das Ende des Traums von der optimalen Organisationsstruktur

Ausgehend von der Aussage, dass die zentrale Herausforderung an Führungskräfte darin besteht, Stabilität und Wandel gleichzeitig möglich zu machen, beschreibt Kühl im ersten Teil des zweiten Kapitels, dass dies durch die Etablierung getrennter organisatorischer Zuständigkeiten gelöst wurde und wird - in den verschiedenen Organisationsformen. Im zweiten Teil verdeutlicht er, dass die Trennung von Innovations- und Routineaufgaben eine schnelle Umsetzung von Veränderungen verhindert. In der Folge geht das Management oft dazu über, alle organisatorischen Einheiten damit zu beauftragen, neben Routinetätigkeiten selbständig Innovationen und Veränderungen vorzunehmen. Diese permanenten Veränderungsprozesse führen wiederum zu mehr Unsicherheit und Instabilität im organisationalen Alltag.

3. Die lernende Organisation - die Hoffnung auf die “guten” Regeln des Wandels

Während Ende des 20. Jahrhunderts noch bestimmte (relativ statische) Organisationsformen gepriesen wurden, wurden zu Beginn des 21. Jahrhunderts Managementleitbilder propagiert, die Veränderungs- und Innovationsfähigkeit von Organisationen in den Vordergrund stellten - so u.a. die “lernende Organisation”. Konsequent zu Ende gedacht, würde eine sich kontinuierlich verändernde Organisation zu einer chaotischen Organisation werden, sich ggf. sogar auflösen.

Im Zentrum des ersten Teils des Kapitels steht eine sich andeutende neue “Lösungsstrategie” für das Paradox gleichzeitiger Stabilitäts- und Veränderungsorientierung (Stabilität wird durch verlässliche Regeln der Veränderung erzeugt). Hier werden die Prinzipien oder Bausteine der lernenden Organisation, als Regeln für das Veränderungsmanagement eingeführt:

  1. Klare Zielsetzungen
  2. Identifikation der Mitarbeiter
  3. Mitarbeiter als zentrale Ressource
  4. Mehr Kommunikation
  5. Stärkere Selbstorganisation
  6. Ausreichende Ressourcen für Veränderungen
  7. Permanentes Lernen / Wandel als permanenter Prozess

Im zweiten Teil geht es um die bewährten Prinzipien “guten” Organisationswandels und die Idee, dass der Wandel rational steuerbar sei (anstatt rationaler Organisationsformen/-strukturen). Der Autor beschreibt vier Trends:

  • Organisationsführung - vom Manager zum Leader
  • Das mittlere Management - von Gewährleistungseinheiten zur Unterstützung von Veränderungsprozessen
  • Die neuen Managementtechniken (mit mehr Ausrichtung auf Umgestaltung, Reorganisation, Neuorientierung - unabhängig von der konkreten Organisationsstruktur)
  • Veränderung des Beratungsverständnisses (mehr Prozessberatung)

4. Die blinden Flecken der lernenden Organisation - sieben Widersprüche zu den Regeln eines “guten” Organisationswandels

In diesem, dem deutlich längsten Kapitel des Buches, wirft Kühl einen kritischen Blick auf das Konzept der lernenden Organisation.

Im ersten Abschnitt geht er auf gängige Erklärungen für die Probleme auf dem Weg zur lernenden Organisation ein: in der Regel wird auf Probleme in der Umsetzung verwiesen, statt die Idee oder die Prinzipien selbst in Frage zu stellen. Es wird erklärt, dass Mitarbeitende den Wandel blockieren oder erschweren würden, dass Wandel nach “innen” nicht ausreichend gut vermarktet/verkauft werde, dass Veränderungskommunikation unzureichend sei. Weiterhin - für Berater noch lukrativer - werden Widerstände in der Organisation oder Scheitern von Veränderungsprozessen auf eine mangelhafte Planung zurückgeführt: auf zu diffuse Zielsetzung, eine unscharfe Vision, ungünstig zusammengestellte Projektteams, ungenügende Unterstützung durch die Organisationsleitung, mangelhafte Einbindung der Mitarbeitenden oder zu unambitionierte Zeitplanung. Eine andere typische Erklärungsmöglichkeit ist ein zu früher Abbruch von Veränderungsprozessen (gerne von Beratern angeführt, die selbst beteiligt waren).

All den Erklärungsansätzen ist gemein, dass die Lösungen dafür jeweils auf der Hand liegen, diese werden mehr oder minder explizit gleich mitgeliefert. Den Lösungsansätzen liegt wiederum ein gemeinsames Konzept zugrunde: Wachstum - mehr Schulungen, mehr Informationen, mehr Motivation, mehr Beratung, mehr interner Austausch.

Eine andere Gemeinsamkeit der Erklärungsansätze ist, dass sie unmittelbar beim Menschen ansetzen. Während manchmal die Personifizierung von Problemen sinnvoll und evtl. für die Organisation entlastend und funktional sein könnte, basieren die Ansätze auf einer begrenzten Problemsicht: sie sind noch durch die klassische Managementlehre geprägt, wonach eine Organisation wie eine Maschine funktioniert, in der Menschen die Rädchen sind. Die Lösungsansätze sind dementsprechend geprägt durch die Hoffnung, dass durch die zuvor genannten Wachstumsansätze die menschlichen Defizite ausgeglichen und Veränderungsprozesse ohne große Schwierigkeiten bewältigt werden können.

Während die üblichen Erklärungsmuster auf unzulängliche Umsetzung verweisen und Kritik an den propagierten Prinzipien des Wandels tabuisieren, möchte Kühl diese kritische Perspektive in diesem Kapitel aufbauen. Die These des Autors ist dabei, dass die Schwierigkeiten von sich wandelnden Organisationen nicht auf die Besonderheiten, Fehler und Schwächen der Mitarbeitenden zurückgeführt werden sollten, sondern mit grundlegenden Problemen des Organisationswandels selbst zusammenhängen, die aus einer Vielzahl von Widersprüchlichkeiten, Zielkonflikten und Dilemmata bestehen. Das Ausblenden dieser Widersprüchlichkeiten, Dilemmata oder gegenteiligen Prinzipien verhindert nach Ansicht des Autors die Erkenntnis, dass die Gegenteile der Regeln des “guten” Organisationswandels für einen guten Organisationswandel ebenfalls gut oder hilfreich sein könnten. Das Herausheben der Probleme und Dilemmata des “guten” Wandels soll Organisationswandel als widersprüchlichen Prozess rekonzeptualisieren.

Zu jedem der 7 Prinzipien des guten Wandels stellt der Autor in jeweils einem Unterkapitel zunächst die positive Begründung des Prinzips dar und arbeitet im zweiten Teil jedes Unterkapitels die ungewollten Nebenfolgen und Probleme heraus. Vereinfachend zusammengefasst sind das:

  1. Die Festlegung von Zielen verhindert Flexibilität im Wandlungsprozess
  2. Bei zu starker Identifikation von Mitarbeitenden mit organisatorischen Einheiten oder Prozessen wird Wandel und Flexibilität in diesen Bereichen schwierig
  3. Werden Mitarbeitende in Veränderungsprozesse mit einbezogen, sind viele verschiedene Interessen zu berücksichtigen - Zusammenhang ist nur schwer herzustellen
  4. Kommunikation kann die Organisation schnell überlasten
  5. Selbstorganisation übernimmt häufig die Muster, die aus der Fremdorganisation bekannt sind
  6. Spielräume für Veränderungen führen möglicherweise dazu, dass Rationalisierungschancen nicht wahrgenommen werden
  7. Ein erfolgreicher Lernprozess schreibt evtl. Strukturen fest, die später nur noch schwer aufzulösen sind.

Im Anschluss und letzten Unterkapitel stellt der Autor zu den 7 Prinzipien entsprechende “Gegensprichwörter” auf, wie z.B. “unklare Ziele und Visionen”, die Organisationen offener gegenüber Veränderung halten könnten als die Prinzipien “guten” Organisationswandels. Es wird zunehmend schwierig, zwischen “richtigem” und “falschem” Handeln zu unterscheiden, und so haben wir es in Wandlungsprozessen mit der Schwierigkeit zu tun, dass es immer gute Gründe gibt, den Veränderungsprozess genau anders zu organisieren.

Wenn Manager oder Berater mit dem Konzept der lernenden Organisation auf die Prinzipien des “guten” Organisationswandels setzen, geschieht das unter Inkaufnahme von Ignoranz, Irrationalität und Vergesslichkeit - also genau der Gegenprinzipien, für die es genauso gute Gründe geben könnte. Sie blenden damit die Irrationalität der lernenden Organisation aus. Es wird ebenso ignoriert, dass sich ungewollte Nebenfolgen einstellen.

Diese Ausblendungen haben wiederum eine Funktion, auf die der Autor im nachfolgenden Kapitel eingeht.

5. Vom Nutzen und von der Gefahr der Irrationalität, Ignoranz und Vergesslichkeit lernender Organisationen

Da eine zentrale Einsicht der Organisationsforschung der letzten Jahrzehnte ist, dass es wenig Sinn hat, Organisationen von ihren offiziellen Zwecken und Zielen her zu begreifen, richtet der Autor seine Perspektive auf die versteckten, unterschwelligen Funktionen des Leitbildes der lernenden Organisation. Es geht also um die Wirkungen, die von den Verfechtern dieses Leitbildes weder beabsichtigt noch wahrgenommen werden. Wie bei Regenmachern, deren Regentanz zwar selten Regen produziert, die dafür aber ungewollt zum sozialen Zusammenhalt im Dorf beitragen.

In den ersten zwei Teilen des Kapitels betrachtet der Autor den Nutzen oder die Funktion des Leitbildes der lernenden Organisation. Das Konzept motiviert demnach zum Ausprobieren neuer Handlungen, auch wenn nicht sicher ist, ob diese der Organisation tatsächlich etwas bringen. Das ist insofern wertvoll, da es in Organisationen die Tendenz gibt, bei Unsicherheit zu anstehenden Entscheidungen und Veränderungsprozessen zu solchen Entscheidungen zu greifen, die sich in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen bewährt hatten. Das “normale” Zögern und der erwartbare Widerstand zu möglichen Veränderungen werden reduziert, wenn Veränderung zur Normalität erhoben wird - Nichtwandel verliert als Alternative an Bedeutung. Das Konzept der lernenden Organisation initiiert nicht rationale Formen des Lernens, des Wandels und des Entscheidens.

Im dritten Teil dieses Kapitels zeigt der Autor, dass Risiken darin bestehen, dass die lernende Organisation Opfer ihrer eigenen Irrationalitäten, Ignoranzen und Vergesslichkeiten wird, und keinen kritischen Blick auf ihre Veränderungsprozesse riskiert - und sich so an den wechselnden Anforderungen der Umwelt vorbeibewegen könnte. Es besteht die Gefahr, dass die im vorigen Kapitel beschriebenen unerwünschten Nebenfolgen der Prinzipien “guten” Organisationswandels unbemerkt anwachsen und die lernende Organisation trotz neuen Handlungsbedarfs in ihrem angestammten Verhaltensmuster verharrt. Trotz kurzfristiger Wandlungsfähigkeit könnten langfristig stabile Strukturen ausgebildet werden, die dann wiederum Innovationsfähigkeit verhindern würden.

6. Jenseits der lernenden Organisation - Dilemmata des Organisationswandels managen

Im ersten Teil dieses Kapitels geht es dem Autor darum, eine Konzeption vorzustellen, die einerseits die Vorstellungen von lernenden Organisationen und “guten” Regeln des Change Managements nicht für bare Münze nimmt, andererseits aber den Nutzen solcher Rationalitätsmythen für Veränderungsprozesse anerkennt. Es kommt darauf an, die in jeder Organisation herrschenden Widersprüchlichkeiten situationsabhängig zu managen - Rationalitätsmythen in Form von Leitbildern und Rezepten können dafür eine sinnvolle Strategie sein. Es könnte aber auch nützlich sein, die blinden Flecken zu thematisieren und die Organisation so zu öffnen. Die Kunst besteht darin, aus einer Metaperspektive heraus den Wechsel zwischen solchen Schließungs- und Öffnungsprozessen zu organisieren - jenseits der Vergötterung der lernenden Organisation und einer Thematisierung von Dilemmata und blinden Flecken. Das würde einen wesentlich entspannteren Umgang mit verschiedenen Leitbildern und Methoden des Wandels von Organisationen ermöglichen.

Auch wenn man sich damit von der Idee eines planbaren und steuerbaren Wandels verabschieden würde, müsste man sich deshalb nicht von der Hoffnung verabschieden, gestaltend auf Organisationen einwirken zu können.

Fazit

Abschließend kann ich sagen, dass mir Kühl mit seinem Buch “Das Regenmacher-Phänomen” ein tieferes und differenzierteres Verständnis für unsere eigene Organisation “inoio” ermöglicht hat, in der viele der Ansätze der “lernenden Organisation” wiederzufinden sind. Er liefert gute Beschreibungen und Erklärungen für Phänomene, die vielleicht in der einen oder anderen Situation bei inoio spürbar oder fühlbar für mich waren, die ich nun in einer passenderen und schlüssigeren Gesamtheit verstehen oder erklären könnte. Mir wird es noch leichter fallen, Irrationalität oder Ignoranz zu einem gegebenen Zeitpunkt zu akzeptieren und bestimmte Aspekte auszublenden, im tieferen Wissen um den versteckten Nutzen. Immer mal einen Schritt zurückzutreten, um auf unsere (oder eine andere) Organisation und die jeweiligen Veränderungsprozesse zu blicken und dabei eine Metaperspektive einzunehmen ist dabei nichts ganz Neues und erscheint mir oft sehr hilfreich. Im gleichzeitigen Bewusstsein, dass wir es mit komplexen Systemen zu tun haben ;-)

Wer also im Zusammenhang mit Organisationsentwicklung bereit für Widersprüchlichkeiten und Irrationalitäten ist und keine Lust mehr auf die einfachen Rezepte hat, für den ist “Das Regenmacher-Phänomen” von Stefan Kühl bestimmt eine wertvolle Lektüre - sowohl erkenntnisreich als auch nützlich für die Organisations-Praxis.

Kommentare